Sey­ran Ateş mit »Demo­kra­tie-Mobil« für Schü­ler und Jugend­li­che

Ateş: »Unser Ziel ist es, fern von Belehrung ein demokratisch-freiheitliches Denken und Sprechen zu vermitteln. Demokratiebildung ist uns eine Herzensangelegenheit.« Das Demokratie-Mobil des Mernissi-de Gouges Bildungs- und Sozialwerks bringt Demokratiebildung auf die Straße und an die Schulen: Ein umgebauter Doppeldeckerbus dient in Berlin als mobiles Klassenzimmer, Begegnungsplattform und Raum für Bildung, Kunst und Kultur.

Das »Demo­kra­tie-Mobil« bie­tet ein brei­tes Spek­trum von The­men­an­ge­bo­ten zu u. a. Radi­ka­li­sie­rung im Netz, Anti­se­mi­tis­mus, Umgang und Erken­nen von Fake News, Abbau von Vor­ur­tei­len Que­e­res Leben, Femi­nis­mus, an. Das »Demo­kra­tie-Mobil« rich­tet sich vor­wie­gend an Jugend­frei­zeit­ein­rich­tun­gen, Schu­len, Eltern, Berufs­bil­dungs­zen­tren, Jugend­bil­dungs­stät­ten, Ein­rich­tun­gen der sta­tio­nä­ren Kin­der- und Jugend­hil­fe sowie an Fach­schu­len. Die Nut­zung des »Demo­kra­tie-Mobils« kann beim Trä­ger ange­fragt wer­den: demokratie-mobil.berlin

Fünf Bei­spie­le aus den Ange­bo­ten für (Schul-)Workshops:

Frau­en von Medi­na

Der Islam kennt eine weit­aus grö­ße­re Band­brei­te an Rol­len, die Frau­en in der Gesell­schaft ein­neh­men kön­nen, als die heu­te bekann­ten und pro­kla­mier­ten. Bereits zu der Zeit des Pro­phe­ten Moham­med gab es Frau­en, die als Ima­min­nen gear­bei­tet haben, die mit in den Krieg gezo­gen sind oder als Geschäfts­frau­en sehr erfolg­reich waren. All dies wur­de im Lau­fe der Jahr­hun­der­te ver­pa­tri­ar­cha­li­siert und ist in Ver­ges­sen­heit gera­ten las­sen wor­den. Heu­te ist die Rol­le der Frau im „Main­stream“- Islam sehr eng zuge­schnit­ten auf den häus­li­chen Bereich und der Kin­der­er­zie­hung. Im Work­shop „Die Frau­en von Medi­na“ wird es dar­um gehen, die Ent­ste­hung der stark patri­ar­cha­len Struk­tu­ren im Islam zu ver­ste­hen und zu hin­ter­fra­gen.

Denn vie­le Rege­lun­gen – ins­be­son­de­re zur Rol­le der Frau – sind erst vie­le Jahr­hun­der­te nach dem Tod des Pro­phe­ten Moham­med ent­stan­den. Durch­füh­ren wol­len wir die Work­shop­rei­he mit der Lek­tü­re des däni­schen Islam­wis­sen­schaft­lers Jes­per Peter­sen, der vie­le Jah­re zu dem The­ma „Frau­en im Islam“ geforscht hat und eine erstaun­li­che Zahl an ein­fluss­rei­chen Frau­en in der isla­mi­schen Geschich­te gefun­den hat.

Mus­li­mi­scher Anti­se­mi­tis­mus

Der Work­shop ‚Mus­li­mi­scher Anti­se­mi­tis­mus’ wird auf die jewei­li­ge Ziel­grup­pe und deren Erfah­rungs- und Wis­sens­stand zum The­ma Anti­se­mi­tis­mus ange­passt. Zen­tra­le Fra­gen sind dabei, was unter dem Phä­no­men Anti­se­mi­tis­mus ver­stan­den wird und wie sich anti­se­mi­ti­sches Gedan­ken­gut aus ver­schie­de­nen Strö­mun­gen äußern kann.

Zudem soll eine Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Anti­se­mi­tis­mus und Kri­tik an der Poli­tik des israe­li­schen Staa­tes her­aus­ge­ar­bei­tet wer­den. Wir nut­zen hier­für Medi­en­in­hal­te von Social Media Platt­for­men, um Codes sicht­bar zu machen, wie Anti­se­mi­tis­mus im All­tag erkannt und reflek­tiert wer­den kann.

Islam und Que­er

Homo­se­xua­li­tät und Trans­ge­schlecht­lich­keit im Islam – für vie­le geht das nicht zusam­men. Das gilt sowohl für Men­schen, die von außen auf ihn schau­en, als auch für Men­schen, die ihn von innen ken­nen, ihn selbst leben. Aber auch unter Muslim*innen wird Homo­se­xua­li­tät und ande­re, viel­fäl­ti­ge For­men der sexu­el­len und/oder geschlecht­li­chen Iden­ti­tät gelebt. Unser Work­shop ‚Islam und Que­er‘ geht auf gän­gi­ge Vor­ur­tei­le, Kli­schees und Her­aus­for­de­run­gen ein, die sich aus die­ser Ver­bin­dung erge­ben.

In Anknüp­fung an die Fra­ge, was unse­re eige­ne Iden­ti­tät aus­macht, sol­len die Schüler*innen dazu ange­lei­tet wer­den, ande­re Iden­ti­tä­ten zu akzep­tie­ren – auch wenn sie mit den eige­nen Vor­stel­lun­gen nicht über­ein­stim­men. Dafür spre­chen wir nicht nur über die Geschich­te der Homo­se­xua­li­tät im Islam und ihre Bedeu­tung für die Reli­gi­on ins­ge­samt, son­dern auch über die Dyna­mi­ken vor­ur­teils­be­haf­te­ten Den­kens.

Sala­fis­mus vs. Rechts­extre­mis­mus

Ideo­lo­gien der Ungleich­wer­tig­kei­ten sind sowohl in Deutsch­land als auch glo­bal gese­hen weit ver­brei­tet. Ziel die­ser demo­kra­tie- sowie men­schen­feind­li­chen Ideo­lo­gien ist die Besei­ti­gung der frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Ver­fas­sungs­ord­nung und den damit ein­her­ge­hen­den Grund- und Men­schen­rech­ten, wie die Auf­lö­sung der Men­schen­wür­de oder auch die Auf­he­bung der Geschlech­ter­gleich­stel­lung.

So sehr sich ver­fas­sungs­feind­li­chen Ideo­lo­gien im äuße­ren Erschei­nungs­bild unter­schei­den, tei­len sie im Kern offen­kun­dig mehr gemein­sa­me ideo­lo­gi­sche Feind­bil­der als man viel­leicht zunächst anders erwar­ten wür­de. Beson­ders deut­lich wird dies bei zwei poli­ti­schen Ideo­lo­gien: Sala­fis­mus und Rechts­extre­mis­mus. Der Sala­fis­mus — als eine extrem-ortho­do­xe Strö­mung inner­halb des Islam — sowie der Rechts­extre­mis­mus pro­pa­gie­ren demo­kra­tie- sowie men­schen­feind­li­che Welt­bil­der wie z.B. gegen das (west­li­che) Frau­en­bild, gegen Homo­se­xu­el­le oder auch gegen Juden.

In die­sem Work­shop geht es um das Her­aus­ar­bei­ten der Gemein­sam­kei­ten sowie Unter­schie­de bei­der Ideo­lo­gien, um Jugend­li­che und jun­gen Her­an­wach­sen­den ein kri­ti­sches Pro­blem­be­wusst­sein zu ver­mit­teln.

Per­se­po­lis

Wie ergeht es den Men­schen in einem Land, wenn nach einem poli­ti­schen Umbruch plötz­lich Frei­heits­rech­te ein­ge­schränkt wer­den? Wie wach­sen jun­ge Men­schen in die­sen Län­dern auf? Wie ergeht es ihnen auf der Flucht vor repres­si­ven poli­ti­schen Sys­te­men, wel­che Schwie­rig­kei­ten kön­nen bei der Inte­gra­ti­on im neu­en Land auf­tre­ten? Unser Work­shop „Per­se­po­lis für den Unter­richt“ ver­setzt Schüler*innen in die Lage, sich zu sol­chen Fra­gen kri­tisch zu posi­tio­nie­ren.

Anhand der Gra­phic Novel ‚Per­se­po­lis‘ von Mar­ja­ne Satra­pi wer­den Hand­lungs­mög­lich­kei­ten in einem nicht-demo­kra­ti­schen Sys­tem dis­ku­tiert. Es sol­len wert­ge­bun­de­ne poli­ti­sche Urtei­le erlernt und erprobt wer­den. Die­se ermög­li­chen neue Per­spek­ti­ven auf unser demo­kra­ti­sches Sys­tem: Was an ihm schät­zens- und schüt­zens­wert ist, aber in der Selbst­ver­ständ­lich­keit oft ver­schwin­det.

Der Work­shop ori­en­tiert sich an der Leit­fra­ge: „Anpas­sung oder Wider­stand? Indi­vi­du­el­le und kol­lek­ti­ve Hand­lungs­spiel­räu­me in nicht-demo­kra­ti­schen Staa­ten“. Das Klas­sen­zim­mer ist kein neu­tra­ler Raum, denn es ist der demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung ver­pflich­tet. Das heißt aber auch, dass jede*r sich angst­frei posi­tio­nie­ren darf und soll. Unse­re Metho­den wer­den die Schüler*innen dabei unter­stüt­zen.

Stim­men bei der Vor­stel­lung des »Demo­kra­tie-Mobils« (2024)

Katha­ri­na Gün­ther-Wünsch (CDU), Sena­to­rin für Bil­dung, Jugend und Fami­lie in Ber­lin:

»Ange­sichts der aktu­el­len Lage müs­sen wir jun­ge Men­schen befä­hi­gen, Mei­nungs­viel­falt als wert­voll und schüt­zens­wert anzu­er­ken­nen und sach­li­che Kri­tik respekt­voll und ohne Gewalt mit­ein­an­der aus­zu­tau­schen. Mit ins­ge­samt 300.000 € initi­iert und finan­ziert die Senats­ver­wal­tung für Bil­dung, Jugend und Fami­lie das Demo­kra­tie-Mobil, damit ab sofort Ber­li­ner Jugend­frei­zeit­ein­rich­tun­gen und Schu­len kos­ten­frei in der Demo­kra­tie­bil­dung gestärkt und Räu­me für den poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Dis­kurs geschaf­fen wer­den.«

Fal­ko Liecke (CDU), Staats­se­kre­tär für Jugend und Fami­lie in Ber­lin:

»Heu­te set­zen wir mit dem Demo­kra­tie-Mobil ein deut­li­ches Signal an Jugend­li­che, sich für die­se Demo­kra­tie ein­zu­set­zen, sie zu ver­ste­hen und zu schüt­zen. Die gro­ßen welt­wei­ten Kon­flikt­la­gen spie­geln sich auch in unse­ren Schu­len und Jugend­frei­zeit­ein­rich­tun­gen wie­der, Dis­kurs mit Argu­men­ten und Fak­ten ste­hen im Vor­der­grund und sind jetzt mehr denn je gefragt. Aber auch die Fein­de unse­rer Demo­kra­tie müs­sen klar benannt und deren Stra­te­gien offen­ge­legt wer­den. Das ist Ziel und Auf­ga­be unse­rer Jugend­stra­te­gie, die aus vie­len Modu­len wie die Kin­der- und Jugend­bü­ros, Kin­der- und Jugend­par­la­men­te, poli­ti­sche Jugend­bil­dung in Jugend­bil­dungs­stät­ten oder die Betei­li­gung im Ber­li­ner Jugend-Demo­kra­tie­fonds besteht. Damit machen wir Demo­kra­tie für Jugend­li­che erleb­bar und gestalt­bar unter den Wer­ten Frei­heit, Demo­kra­tie und Rechts­staat­lich­keit.«

Sey­ran Ateş, Geschäfts­füh­re­rin Mer­nis­si-de Gou­ges Bil­dungs- und Sozi­al­werk:

»Wir stel­len zuneh­mend unter jun­gen Men­schen reli­giö­se und poli­tisch moti­vier­te demo­kra­tie­feind­li­che Ten­den­zen fest, das ist mehr als besorg­nis­er­re­gend. Denn unse­re Demo­kra­tie wird dadurch mehr und mehr in Fra­ge und zur Dis­po­si­ti­on gestellt. Unser Ziel ist es, fern von Beleh­rung ein demo­kra­tisch-frei­heit­li­ches Den­ken und Spre­chen zu ver­mit­teln. Demo­kra­tie­bil­dung ist uns eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit. In die­sem Sin­ne wol­len wir Kin­dern und Jugend­li­chen hel­fen, ein Gefühl für die Demo­kra­tie zu ent­wi­ckeln.«