Micha­el Schmidt-Salo­mon über das Pro­blem in der deut­schen Poli­tik, den »Poli­ti­schen Islam« zu ver­ste­hen

Nach dem islamistischen Anschlag von Mannheim (2024) mehren sich die Stimmen, die ein härteres Durchgreifen des Staates gegen Islamisten fordern. Diese Reaktion komme reichlich spät, meint der Vorsitzende der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon.

Vor den Gefah­ren des Poli­ti­schen Islam habe die »1. Kri­ti­sche Islam­kon­fe­renz« bereits 2008 gewarnt, erklärt Schmidt-Salo­mon. Aller­dings sei­en die Impul­se der Kon­fe­renz, die von der Giord­a­no-Bru­no-Stif­tung in Zusam­men­ar­beit mit dem »Zen­tral­rat der Ex-Mus­li­me« orga­ni­siert wur­de, im poli­ti­schen Raum nicht ange­kom­men: »Die ein­dring­li­chen War­nun­gen von Ex-Mus­li­men und libe­ra­len Mus­li­men, die genau wuss­ten, wor­über sie spra­chen, als sie über die Stra­te­gien des ›isla­mi­schen Faschis­mus‹ auf­klär­ten, wur­den fast voll­stän­dig igno­riert. Man hat sogar ver­sucht, die­se authen­ti­schen Stim­men aus dem mus­li­mi­schen Kul­tur­raum mit­hil­fe von Kampf­be­grif­fen wie ›Isla­mo­pho­bie‹ oder ›Mus­lim­feind­lich­keit‹ ins ›rech­te Lager› zu rücken. Lei­der muss man hier ein tra­gi­sches Ver­sa­gen der eta­blier­ten Par­tei­en fest­stel­len, deren Igno­ranz nicht nur zum Erstar­ken des Isla­mis­mus, son­dern auch des Rechts­po­pu­lis­mus in Deutsch­land geführt hat.«

In sei­nem Buch »Die Gren­zen der Tole­ranz« (Piper 2016) hat Schmidt-Salo­mon die­sen Zusam­men­hang fol­gen­der­ma­ßen auf den Punkt gebracht: »Wer etwas so Offen­kun­di­ges wie die Rea­li­tät des Poli­ti­schen Islam leug­net, wer wider alle Ver­nunft jeg­li­chen Zusam­men­hang von Islam und Isla­mis­mus bestrei­tet, wer meint, man müs­se bloß Ter­ro­ris­ten bekämp­fen, nicht aber die Ideo­lo­gien, die sie zum Ter­ror moti­vie­ren, der treibt die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler gera­de­wegs in die Arme von Poli­ti­kern, die ihre anti­auf­klä­re­ri­schen Zie­le unter dem Denk­man­tel einer ›auf­ge­klär­ten Islam­kri­tik‹ wun­der­bar ver­ber­gen kön­nen.«

 
Mar­ki­ge Sprü­che der Poli­tik

Die­se Pro­gno­se habe sich bewahr­hei­tet. War­um die Regie­rungs­par­tei­en gegen die­se lan­ge abseh­ba­ren Ent­wick­lun­gen nichts unter­nom­men haben, ist Schmidt-Salo­mon ein Rät­sel, zumal die ver­ant­wort­li­chen Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker durch­aus infor­miert gewe­sen sei­en. So saß er 2019 im Rah­men der Grund­satz­aka­de­mie von Bünd­nis 90/Die Grü­nen zusam­men mit Anna­le­na Baer­bock auf dem Podi­um und warn­te davor, die Kri­tik am Poli­ti­schen Islam den Rechts­po­pu­lis­ten zu über­las­sen. Gebracht habe dies aber kaum etwas.

Immer­hin: Nach dem Mes­ser­an­griff in Mann­heim am 31. Mai 2024räum­te die Par­tei­vor­sit­zen­de Ricar­da Lang ein, dass Bünd­nis 90/Die Grü­nen in der Ver­gan­gen­heit »viel­leicht vor der Debat­te zurück­ge­schreckt« sei­en, weil sie dach­ten, »damit hel­fen wir am Ende den Rechts­po­pu­lis­ten«. Jedoch sei der Isla­mis­mus »der Feind einer frei­en Gesell­schaft«, die­ser müs­se »bekämpft wer­den, sicher­heits­po­li­tisch und gesamt­ge­sell­schaft­lich.« Schmidt-Salo­mon bleibt aller­dings skep­tisch: »Ich hof­fe, dass es sich dabei tat­säch­lich um eine nach­hal­ti­ge Ein­sicht han­delt und nicht bloß um einen ver­zwei­fel­ten Ver­such, irri­tier­te Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler kurz vor der Euro­pa­wahl mit mar­ki­gen Sprü­chen zu beein­dru­cken.«

Mar­ki­ge Sprü­che sei­en auch vom Gene­ral­se­kre­tär der FDP Bijan Djir-Sarai gekom­men, der mit Blick auf den Mann­hei­mer Mes­ser­ste­cher die Abschie­bung von Straf­tä­tern nach Afgha­ni­stan ver­lang­te. »Dies mag ent­schie­den klin­gen, hät­te aber den Anschlag des mut­maß­li­chen Täters Sulai­man A. nicht ver­hin­dert, der bis zum Anschlag nicht straf­fäl­lig gewor­den ist und sogar als ›Mus­ter­bei­spiel für gelun­ge­ne Inte­gra­ti­on‹ galt», erklärt Schmidt-Salo­mon.

 
Rechts­po­pu­lis­mus als Spie­gel­bild des Isla­mis­mus

Wie man sowohl dem Isla­mis­mus als auch dem Rechts­po­pu­lis­mus ent­ge­gen­wir­ken kann, habe die »2. Kri­ti­sche Islam­kon­fe­renz« schon 2013 mit ihrer Abschluss­re­so­lu­ti­on »Selbst­be­stim­mung statt Grup­pen­zwang: Gegen Isla­mis­mus UND Frem­den­feind­lich­keit« auf­ge­zeigt. »Ent­schei­dend ist es, zu erken­nen, dass sich Isla­mis­mus und Rechts­po­pu­lis­mus gegen­sei­tig ver­stär­ken und dass sie auf ideo­lo­gi­scher Ebe­ne sehr viel mehr ver­bin­det als trennt«, stellt der gbs-Vor­sit­zen­de fest. »Bei­de ver­tei­di­gen näm­lich ihr ange­stamm­tes kul­tu­rel­les Get­to gegen das ver­meint­lich Feind­li­che des ›Frem­den‹ (›die Ungläu­bi­gen‹ hier – ›die Mus­li­me‹ dort) und rich­ten sich gegen die kul­tu­rel­len Begleit­erschei­nun­gen der Moder­ne – gegen Libe­ra­li­sie­rung, Indi­vi­dua­li­sie­rung, Säku­la­ri­sie­rung, gegen die Rech­te von Frau­en, Homo­se­xu­el­len und Trans­per­so­nen, gegen den welt­an­schau­lich neu­tra­len Staat und die Prin­zi­pi­en der offe­nen Gesell­schaft. Inso­fern ist es absurd zu glau­ben, die AfD sei ein pro­ba­tes Gegen­gift zum Isla­mis­mus, tat­säch­lich ist sie in wei­ten Tei­len nur des­sen christ­lich-natio­na­lis­ti­sches Spie­gel­bild.«

Um den Gefah­ren von Isla­mis­mus und Rechts­po­pu­lis­mus zu begeg­nen, sei es daher wich­tig, »die iden­ti­tä­ren Denk­struk­tu­ren anzu­grei­fen, die bei­den Strö­mun­gen zugrun­de lie­gen«. Hier­zu habe die »2. Kri­ti­sche Islam­kon­fe­renz« bereits vor 11 Jah­ren ver­schie­de­ne Stra­te­gien vor­ge­schla­gen, unter ande­rem »die Ein­füh­rung eines all­ge­mein ver­bind­li­chen, reli­gi­ons- und welt­an­schau­ungs­kund­li­chen Faches, in dem die Schü­le­rin­nen und Schü­ler nicht mehr nach ihren jewei­li­gen Her­kunfts­fa­mi­li­en selek­tiert wer­den, son­dern gemein­sam nach fai­ren Lösun­gen für Inter­es­sen­kon­flik­te suchen kön­nen.« Zudem for­der­te die Kon­fe­renz, die Poli­tik sol­le »grö­ße­re Anstren­gun­gen unter­neh­men, um die Rech­te von Kin­dern und Jugend­li­chen zu stär­ken – auch gegen­über den Ansprü­chen der eige­nen Eltern«. Dies gel­te nicht zuletzt für ihre kör­per­li­che Inte­gri­tät: »Die Legi­ti­mie­rung der medi­zi­nisch nicht indi­zier­ten Kna­ben­be­schnei­dung war ein Schritt in die fal­sche Rich­tung, der schnellst­mög­lich kor­ri­giert wer­den soll­te.«

 
Für die Unter­stüt­zung libe­ra­ler Mus­li­me

»Aller­größ­ten Wert« legt Schmidt-Salo­mon aller­dings dar­auf, »dass dies nicht als Gene­ral­ver­dacht gegen­über Mus­li­men miss­ver­stan­den wird«: »Vie­le deut­sche Mus­li­me kön­nen ihren Glau­ben mit den Prin­zi­pi­en des Rechts­staats eben­so gut ver­ein­ba­ren wie Katho­li­ken oder Pro­tes­tan­ten. Nicht weni­ge von ihnen sind sogar völ­lig are­li­gi­ös und lei­den in beson­de­rer Wei­se unter den reak­tio­nä­ren Nor­men, die in ›ihrer‹ Com­mu­ni­ty vor­herr­schen. Des­halb soll­te klar sein, dass der poli­ti­sche Kampf nicht ›den‹ Mus­li­men gel­ten kann, son­dern viel­mehr einer radi­ka­len Min­der­heit, die in ihrer Sehn­sucht nach einem tota­li­tä­ren Got­tes­staat nicht noch mehr Anhänger*innen fin­den soll­te.«

Statt mit den gro­ßen Islam­ver­bän­den zu koope­rie­ren, die immer wie­der durch Ver­bin­dun­gen mit der Isla­mis­ten­sze­ne auf­ge­fal­len sind (sie­he hier­zu die fowid-Ana­ly­se zum »Isla­mi­schen Lob­by­is­mus«), soll­te der Staat »huma­nis­ti­sche Isla­m­in­ter­pre­ta­tio­nen för­dern, wie sie unter ande­rem von Mouha­nad Khor­chi­de oder Sey­ran Ates vor­ge­legt wur­den«: »Tra­gi­scher­wei­se wer­den gera­de libe­ra­le Muslim*innen von Isla­mis­ten in beson­de­rer Wei­se bedroht. So steht Sey­ran Ates schon seit Jah­ren unter Poli­zei­schutz – und die Gefah­ren­la­ge hat sich noch ein­mal ver­schärft, seit ihre Ber­li­ner ›Ibn-Rushd-Goe­the-Moschee‹ in einer IS-Pro­pa­gan­da­schrift als ›Ort der Teu­fels­an­be­tung‹ ange­grif­fen wur­de. Ich den­ke, dass es unse­re staats­bür­ger­li­che Pflicht ist, libe­ra­le Muslim*innen wie Sey­ran in ihrem muti­gen Kampf gegen den Poli­ti­schen Islam zu unter­stüt­zen. Hof­fent­lich kommt die­se Ein­sicht auch bei den Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­tern der demo­kra­ti­schen Par­tei­en an und führt dort zu ent­spre­chen­den Ent­schei­dun­gen – und nicht bloß zu mar­ki­gen Sprü­chen im Wahl­kampf.«