»Der Islam und der säku­la­re Staat« von Ralph Ghad­ban

Ghadban untersucht in dem Artikel die komplexe Beziehung zwischen Islam und Säkularismus. Dabei geht er besonders auf die Thesen der Islamisten ein und widerlegt ihre Behauptung, der Islam sei unvereinbar mit der Trennung von Religion und Staat.

Im Kapi­tel »Der Islam und der säku­la­re Staat« (S. 167 – 184) sei­nes Buches »Islam und Islam­kri­tik: Vor­trä­ge zur Inte­gra­ti­ons­fra­ge« (2011) schreibt Ralph Ghad­ban ein­lei­tend:

»Wenn das The­ma Islam und säku­la­rer Staat behan­delt wird, ver­gleicht man übli­cher­wei­se die Erfor­der­nis­se des säku­la­ren Staa­tes mit den Vor­ga­ben der isla­mi­schen Reli­gi­on, um Schlüs­se zu zie­hen. Das wer­de ich auch teil­wei­se tun. Mei­nen Schwer­punkt wer­de ich aber dar­auf legen, die The­sen der Isla­mis­ten zu ana­ly­sie­ren, um her­aus­zu­fin­den, ob der Islam, wie sie behaup­ten, gegen die Tren­nung von Staat und Reli­gi­on sei bzw. ob es wirk­lich kei­ne Spu­ren von einer säku­la­ren Tra­di­ti­on in der Geschich­te des Islam gibt, oder ob die Vor­stel­lun­gen der Isla­mis­ten eher ein Pro­dukt der Moder­ne sind, um die Moder­ne zu bekämp­fen.«

Kern­aus­sa­gen

  • Zur Bedeu­tung des Säku­la­ris­mus:
    Ghad­ban beschreibt die Prin­zi­pi­en der Tren­nung von Staat und Reli­gi­on als Grund­pfei­ler moder­ner Demo­kra­tien. Er betont:
    »Die Staats­neu­tra­li­tät bedeu­tet, dass der Staat für die Behand­lung reli­giö­ser Fra­gen unqua­li­fi­ziert ist und daher zur Zurück­hal­tung und Neu­tra­li­tät ver­pflich­tet ist.«
  • Islam als Geset­zes­re­li­gi­on:
    Im Gegen­satz zum Chris­ten­tum, das Ghad­ban als „Gewis­sens­re­li­gi­on“ bezeich­net, sei der Islam eine Geset­zes­re­li­gi­on:
    »Das Gute besteht in der Befol­gung des im Koran offen­bar­ten Geset­zes und ent­springt nicht einer sub­jek­ti­ven Gewis­sens­er­wä­gung.«
    Dies führt laut Ghad­ban dazu, dass der Islam im poli­ti­schen Kon­text immer wie­der als Herr­schafts­ideo­lo­gie genutzt wird.
  • Kri­tik an der Scha­ria:
    Ghad­ban führt aus, dass die Ein­füh­rung der Scha­ria in meh­re­ren Län­dern kei­ne nach­hal­ti­gen Lösun­gen für gesell­schaft­li­che Pro­ble­me gebracht hat:
    »Die explo­die­ren­de Demo­gra­phie, die hohe Arbeits­lo­sig­keit, die Infla­ti­on, die Woh­nungs­not […] all die­se Pro­ble­me haben von den Rechts­ge­lehr­ten kei­ne Abhil­fe erfah­ren.«
    Statt­des­sen habe die Scha­ria zu einer Ver­schlech­te­rung der Lebens­si­tua­ti­on geführt und per­sön­li­che Frei­hei­ten stark ein­ge­schränkt.
  • Die Fik­ti­on des Kali­fats­staa­tes:
    Ghad­ban ent­larvt die For­de­rung nach einem „Kali­fats­staat“ als ahis­to­ri­sche Kon­struk­ti­on:
    »Der Schlacht­ruf der Isla­mis­ten lässt ver­mu­ten, dass dahin­ter eine Gesamt­kon­zep­ti­on von Staat und Gesell­schaft steckt, gespickt mit Pro­gram­men für die Lösung sozia­ler, wirt­schaft­li­cher und poli­ti­scher Pro­ble­me. Eine nüch­ter­ne Betrach­tung der Rea­li­tät zeigt jedoch ein ande­res Bild.«
  • Die isla­mi­sche Geschich­te kri­tisch betrach­ten:
    Ghad­ban ruft dazu auf, die Geschich­te des Islam sach­lich zu ana­ly­sie­ren, um fal­sche Ide­al­bil­der zu ver­mei­den:
    »Die Isla­mis­ten sprin­gen über zwölf Jahr­hun­der­te isla­mi­sche Geschich­te hin­weg und lan­den im 7. Jahr­hun­dert, um davon ein idea­li­sier­tes Bild zu kon­stru­ie­ren, das nie exis­tiert hat.«
  • Schluss­wort:
    »So lan­ge der Islam als Herr­schafts­ideo­lo­gie auf­tritt, ist er mit dem säku­la­ren Staat nicht zu ver­ein­ba­ren. Wenn der Islam sich auf die reli­giö­se Dimen­si­on des Korans besinnt und sei­ne eige­ne Geschich­te sach­lich und nicht ideo­lo­gisch behan­delt, dann fin­det er genug Ansät­ze für den Ein­stieg in die Moder­ne, ohne sich sel­ber und sein kul­tu­rel­les Erbe zu ver­ra­ten.«


Ralph Ghad­ban: Islam und Islam­kri­tik. Vor­trä­ge zur Inte­gra­ti­ons­fra­ge. Ver­lag Hans Schi­ler, Berlin/Tübingen, 2011. ISBN: 978–3‑89930–360‑5 (PDF)