El Ghazzali analysiert die Spannungen zwischen demokratischen Prinzipien und islamischen Traditionen. Er sieht einen Widerspruch zwischen Potenzial und Wirklichkeit, der theologischen und politischen Gegensätzen entspringt. Zentral sei der Konflikt zweier Souveränitätskonzepte: Der demokratischen Volkssouveränität stehe die göttliche Souveränität («hakimiya») gegenüber. Er skizziert drei mögliche Entwicklungspfade für die islamische Welt:
1. Islamische illiberale Demokratie
Darunter versteht er ein System, das demokratische Wahlen zulässt, aber Gesetze und politische Entscheidungen an die Scharia bindet. Minderheiten werden hier nicht als gleichberechtigte Bürger angesehen, sondern als »Dhimmis«, geduldete Subjekte mit eingeschränkten Rechten.
2. Autoritäre, nationalistische Regime
Systeme wie die der Baathisten oder Kemalisten, die Religionsfreiheit durch autoritäre Kontrolle sichern, jedoch ethnische Exklusivität betonen und demokratische Teilhabe einschränken.
3. Liberal-demokratische Bewegungen
Bewegungen wie in Tunesien oder Marokko, die Volkssouveränität mit verfassungsrechtlich garantierten individuellen Rechten verbinden wollen. Solche Kräfte seien jedoch oft marginalisiert.
El Ghazzali zieht den Schluss, dass die islamische Welt in einer Sackgasse steckt und ein wichtiges Element fehlt:
Zwischen antidemokratischen Islamisten, pseudosäkularen Autokraten und einer verschwindend kleinen liberalen intellektuellen Elite fehlt der eigentliche Motor der Demokratie – eine aufgeklärte liberale Mittelschicht.
Weiterlesen in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ): »Islam und Demokratie – die muslimische Welt befindet sich in einer Sackgasse« (archiviert)
Kacem El Ghazzali ist Vertreter des Center for Inquiry (CFI) beim Uno-Menschenrechtsrat. Das CFI setzt sich weltweit für säkularen Humanismus ein.