Der Artikel erschien in MIZ 02/24 – Materialien und Informationen zur Zeit. Akgün beschreibt, dass die Gründung von DAVA nicht der erste Versuch war, mit einer türkisch-islamistischen Partei in Deutschland das Milieu der Nachkommen der ehemaligen Gastarbeiter:innen anzusprechen. Bereits 2010 trat die Partei BIG (Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit) bei der Landtagswahl in NRW an, erzielte aber 2017 nur 17.455 Stimmen. 2016 folgte die ADD (Allianz Deutscher Demokraten), gegründet von Remzi Aru, einem Vertrauten Erdoğans. Trotz offener Unterstützung durch Erdoğan erreichte die ADD 2017 lediglich 0,1 % der Stimmen.
DAVA wurde 2024 als neue Vereinigung für die Europawahl gegründet. Der Vorsitzende, Teyfik Özcan, war ehemals in der SPD, und sah für DAVA ein Potenzial von fünf Millionen Stimmen. Spitzenkandidat Fatih Zingal, ehemaliger Pressesprecher der UID (einer AKP-nahen Organisation), kalkulierte optimistisch mit den Stimmen aller türkischstämmigen Menschen in Deutschland, ignorierte dabei laut Akgün jedoch die politischen Unterschiede innerhalb der Zielgruppe. Er heizte die Stimmung an, indem er die rhetorische Frage stellte: »Stimmen Sie mir zu, dass die überwältigende Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken sagt ‘Ich bin Türke´?« Weitere Kandidaten auf vorderen Listenplätzen waren Ali Ihsan Ünlü, ehemaliger DITIB-Vorsitzender in Niedersachsen, und Mustafa Yoldaş, ein früherer Funktionär von IGMG – Islamische Gemeinschaft Milli Görüş und ehemaliger Vorsitzender der IHH – Internationale Humanitäre Hilfsorganisation (im Jahr 2010 verboten, laut Bundesinnenministerium: »Finanzielle Unterstützung der Hamas und ihr nahestehender Organisationen«).
Das Parteiprogramm fokussiert sich auf islamische Themen und ein konservatives Weltbild. Weitere Kennzeichen seien, so Akgün, ihr »rhetorisch robustes Auftreten mit dem bekannten Opfernarrativ bezüglich Muslime hier und woanders« und ihr moralischer Vertretungsanspruch (»Angesprochen sind alle, die von den anderen Parteien nicht angesprochen sind! Wir sind für alle Menschen da, die vom Rassismus betroffenen sind“).
Akgüns Kernaussagen
- Bisher keine akute Gefahr:
»Zurzeit sehe ich in der Breite keine akute Gefahr für die Demokratie durch die islamistischen Parteien. Dennoch müssen wir aufmerksam bleiben.« - Der Politische Islam als Bedrohung:
»Der politische Islam, der Politik im Namen des Islams machen möchte und als Ziel einen religiösen Staat vor Augen hat, ist und bleibt eine immerwährende Gefahr für die Demokratie.« - Die Bedeutung Erdoğans:
DAVA habe ihre Zielgruppe verfehlt, indem sie sich von Erdoğan distanzierte. »Eine Partei ohne Erdoğan ist für die Deutschtürken uninteressant. Nur das Programm allein reicht nicht aus.« - Patriarchale Strukturen und Erdoğan-Kult:
»Solange in türkischen Familien das patriarchale System nicht durchbrochen wird, solange das Wort des Vaters nicht infrage gestellt werden darf, werden Figuren wie Erdoğan als Leitfiguren der Gesellschaft akzeptiert.« - Warum Wähler abwandern:
Die türkisch-islamistischen Gruppierungen würden mit Diskriminierung, Islamfeindlichkeit und Rassismus eher Themen ansprechen, die in der deutschen Mittelschicht zu Hause seien, nicht jedoch die sozial benachteiligte Zielgruppe der Migranten. »Ihre Themen sind Bread-and-Butter-Themen wie Arbeitsmarkt, Krankenversicherung und Rente – nicht die gesellschaftspolitischen Fragen, die DAVA aufgegriffen hat.« - Kommunizierende Röhren: AfD und islamistische Parteien
»Die AfD und die islamistischen Parteien sind kommunizierende Röhren. Der Aufstieg der AfD und die Veränderung der Bevölkerungsstrukturen in den nächsten Jahren sind zum Beispiel zwei Faktoren, die den islamistischen Parteien zum Aufschwung verhelfen könnten. Im Bereich der extremen Parteien müssen die islamistischen Parteien immer mitbedacht werden.«
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