In seinem Buch Die Asyl-Lotterie. Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg analysiert Ruud Koopmans (Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin und von 2020 bis 2022 Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung – DeZIM) das europäische Asylsystem. Er zeigt auf, wie es insbesondere seit 2015 zu einem willkürlichen und ungerechten System geworden sei, das weder den Schutzbedürftigsten helfe noch die gesellschaftliche Stabilität sichere. Geographie, Geld, körperliche Fitness und Glück entscheiden darüber, wer es nach Europa schafft – nicht der Grad der Schutzbedürftigkeit, so Koopmans. Er formuliert die folgenden zehn Kritikpunkte:
1. Das europäische Asylsystem fordert mehr Menschenleben, als es rettet.
2. Die Schwächsten bleiben außen vor.
3. Viele Flüchtlinge haben keine Chance, Europa zu erreichen.
4. Geographie und politische Konjunktur treiben die europäische Flüchtlingspolitik.
5. Die Erstaufnahmeländer werden im Stich gelassen.
6. Überbelastung der Aufnahmekapazitäten und schwierige Integration.
7. Bedrohung der inneren Sicherheit.
8. Stärkung des Rechtspopulismus.
9. Ein europapolitischer Spaltpilz.
10. Erpressbarkeit durch Autokraten.
Demnach sei das europäische Asylregime »todkrank«. Es habe dazu geführt, dass eine neue Dimension des gewaltbereiten Politischen Islams in Person islamistischer Terroristen in die EU und nach Deutschland gekommen sei. Koopmans stellt fest:
»Aus all diesen Gründen ist die sicherheitspolitische Bilanz der sogenannten Flüchtlingskrise eine traurige: Dutzende Terroranschläge mit insgesamt um die 250 Toten wurden seit 2015 in der EU von Tätern verübt, die entweder Asylbewerber waren oder sich – mit falschen oder fehlenden Dokumenten – als solche ausgegeben hatten. Asylbewerber sind außerdem in der «gewöhnlichen» Gewaltkriminalität stark überrepräsentiert. Bei schweren Gewaltdelikten wie Mord, Totschlag und Vergewaltigung treten sie sieben Mal häufiger als Täter in Erscheinung, als aufgrund ihres Bevölkerungsanteils zu erwarten wäre. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die für Gewaltkriminalität anfälligste demographische Gruppe der jungen Männer unter den Flüchtlingen stark vertreten ist. Auch dies ist kein Naturereignis, sondern eine direkte Folge des herrschenden Asylsystems.« (S. 27)
In der Gesamtschau legt Koopmans anhand von Daten und konkreten Beispielen dar, warum die bisherige Regelung die innere Sicherheit gefährdet, den Rechtspopulismus stärkt, die Integration erschwert, Europa spaltet und die Abhängigkeit von autokratischen Regimen erhöht. Die Flüchtlingskrise von 2015 sei keine Naturkatastrophe gewesen, sondern eine hausgemachte Krise der Asylpolitik. Im Schlussteil des Buches entwickelt er ein pragmatisches Konzept für eine bessere Migrationspolitik: eine Kombination aus großzügiger humanitärer Aufnahme und der Eindämmung irregulärer Migration, um den Missbrauch des Systems zu beenden und eine gerechtere Verteilung von Schutzchancen zu ermöglichen.
Kurzbewertung
Die Asyl-Lotterie überzeugt durch den enormen Kenntnisreichtum, den Ruud Koopmans als empirischer Sozialforscher über Jahrzehnte hinweg erworben hat. Ein brillant formuliertes, aufwändig recherchiertes Buch, das sich streckenweise so spannend wie ein Roman liest und zugleich eine pragmatische, faire und zukunftsfähige Lösung für die Asylpolitik entwickelt. Ihre Umsetzung würde nicht nur viele Menschenleben retten, sondern könnte auch die sozialen Spannungen lockern, die in den letzten Jahren zum Erstarken des politischen und religiösen Extremismus geführt haben.
Ruud Koopmans: Die Asyl-Lotterie. Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg. C.H. Beck, München, 2023. ISBN: 978–3‑406–79784‑7