Eingangs steht die folgende Handlungsempfehlung an die Bundesländer:
Was tun?
Der konfessionelle Religionsunterricht (RU) gemäß Artikel 7 Grundgesetz befindet sich in einer tiefen Strukturkrise und steht in manchen Regionen Deutschlands faktisch vor dem Aus. Sinkende Zahlen konfessionell gebundener Schülerinnen und Schüler, systemische Probleme des Islamunterrichts und improvisierte – teils verfassungswidrige – Scheinlösungen erfordern ein Umdenken. Ein zukunftstaugliches Modell muss die Religions- und Weltanschauungsfreiheit wahren, Schulen als neutrale, bekenntnisfreie Orte in der religiös-weltanschaulich pluralen Gesellschaft stärken und unnötige Belastungen der öffentlichen Haushalte vermeiden. Da Schulpolitik Ländersache ist, richtet sich der folgende Vorschlag an die Bundesländer:
- Änderung der Länder-Schulgesetze und der Verwaltungsbestimmungen mit dem Ziel: Öffentliche, staatlich getragene Schulen gelten gemäß Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz als bekenntnisfrei und müssen keinen konfessionellen RU anbieten.
Ausgewählte Aussagen zum konfessionsgebundenen Islamuntericht
Im Kapitel »Zehn Probleme des konfessionellen Religionsunterrichts« wird nach der Kritik am deutschen Sonderweg als wichtiges Problemfeld genannt:
Pädagogisch und integrationspolitisch »fatal«
In dem Spiegel-Bestseller „Generation Allah“ beschreibt Ahmad Mansour deutsche Schulen, die der religiösen Radikalisierung unter Jugendlichen oft hilflos gegenüberstehen. Er nennt verschiedene Gründe hierfür, doch gerade den konfessionellen RU hält er für „fatal“:
„Warum teilt man die Kinder auf, so dass Katholiken in Klasse A, Protestanten in Klasse B, Muslime in Klasse C gehen? Was für ein Bild bekommen die Gruppen voneinander? Eben: Die anderen sind anders!” (Mansour: Generation Allah, S. 225).
Diese religiöse Trennung ist nicht mehr zeitgemäß. So wie es keinen „SPD-“, „CDU-“ oder „AfD-Politikunterricht“ geben darf, in dem „bekennende“ Parteimitglieder ihre Überzeugungen an die Kinder von SPD‑, CDU- oder AfD-Wählern vermitteln, sollte auch Religion unparteiisch und neutral vermittelt werden – zumal „Reli“ vollständig aus Steuergeldern finanziert wird. Auch der Hinweis, dass kein Mensch gläubig zur Welt kommt, verdeutlicht das Problem: Es gibt keine religiösen Kinder, nur Kinder religiöser Eltern. Denn die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion entsteht erst durch Erziehung und durch Sozialisation, bei der der RU eine Schlüsselrolle spielt. Konfessioneller RU dient nicht primär der Vermittlung von Wissen, sondern der Vermittlung eines bestimmten Glaubens – und damit der religiösen Beeinflussung von Kindern.
Anders als die Aufteilung von Kindern nach dem Glauben ihrer Eltern fördert das gemeinsame Lernen die selbstbestimmte Entwicklung der Schulkinder, wirkt gesellschaftlicher Spaltung entgegen und schafft Grundlagen für ein friedliches Miteinander.
Daher wird in der bildungs- und erziehungspolitischen Debatte dafür plädiert, Schüler zu Themen der Religion, zu Sinn- und Wertfragen nicht religiös getrennt, sondern gemeinsam zu unterrichten. Diese Position deckt sich mit der Meinung der Bevölkerung: Laut einer GfK-Umfrage von 2022 befürworten 72 Prozent der Deutschen einen „Ethikunterricht für alle“. Unter Konfessionsfreien ist die Zustimmung mit 86 Prozent besonders hoch, doch auch in allen Religionsgemeinschaften sind Mehrheiten dafür: 57 Prozent der Katholiken, 67 Prozent der Evangelischen, 60 Prozent der Muslime.
Ein weiteres Problem lautet:
Neutralitätsverstoß und »landesherrliches Kirchenregiment«
Laut dem Theologen und Ethikprofessor Hartmut Kreß (Universität Bonn) kommt der deutsche Staat seiner Aufsichtspflicht über den konfessionellen RU als Bestandteil des öffentlichen Schulwesens angesichts der Aufsplitterung des Faches nur unzureichend nach und überschreitet zugleich seine Kompetenzen. Kreß zeigt das Problem unter anderem beim bekenntnisgebundenen Islamunterricht auf. Die staatliche Konstruktion von Beiräten und staatlich gegründeten Stiftungen, wie sie in Baden-Württemberg mit der Stiftung Sunnitischer Schulrat zur Organisation des Religionsunterrichts sunnitischer Prägung als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen vorgenommen wird, verstoße gegen die verfassungsmäßige Neutralität. Der Staat wolle sich zum Zweck eines bekenntnisgebundenen Islamunterrichts islamisch-religiöse Ansprechpartner schaffen, die er in der Logik christlicher Kirchenstrukturen konstruiere, obwohl der Islam historisch wie auch theologisch ganz anders verfasst sei. Darüber hinaus repräsentieren die vom Staat beteiligten Islamverbände keineswegs die gesamte muslimische Gemeinschaft. Kreß bemängelt, dass der deutsche Staat mit solchen Konstruktionen „im Übermaß“ in den muslimisch-religiösen Binnenbereich hineinwirke und die kollektive Religionsfreiheit von Muslimen verletze. Es handele sich rechtsgeschichtlich um einen Rückfall sogar hinter die Prinzipien der Weimarer Verfassung von 1919 – hier werde ein „landesherrliches Kirchenregiment revisited“ im 21. Jahrhundert praktiziert. Kreß: „Paradoxerweise wird jetzt – ca. hundert Jahre später – in der Bundesrepublik Deutschland das Paradigma des landesherrlichen Kirchenregiments reaktiviert, indem der Staat es auf den muslimischen Bevölkerungsanteil anwendet. Es handelt sich um ‚eine historisch erklärbare deutsche Naivität‘. Mehrere Landesregierungen sind religiös tätig geworden, haben ‚über‘ die muslimische Bevölkerung entschieden und ‚für‘ sie einen bekenntnishaften RU geschaffen.“ Das alles sei nicht tragbar, denn es seien verfassungskonforme Lösungen verfügbar und konkret realisierbar, z. B. ein Islamkundeunterricht oder die Einführung eines obligatorischen neutralen Ethik-/Religionskundeunterrichts für alle oder letztlich die Errichtung bekenntnisfreier Schulen (Kreß: Religionsunterricht oder Ethikunterricht?, S. 170–173).
Hervorzuheben ist auch das folgende Problem von Übergriffigkeiten der Islamverbände auf die Privatsphäre von Lehrkräften:
Das unterrichtende Personal
Die am RU beteiligten Religionsgesellschaften haben das Recht, den Lehrkräften eine Lehrerlaubnis zu verweigern – selbst wenn diese Lehrkräfte ein einschlägig studiertes und examiniertes Unterrichtsfach vorweisen können. Oder anders: Pädagog:innen mit erstem und zweitem Staatsexamen dürfen ohne das Dokument der Vocatio (evangelisch), der Missio Canonica (katholisch), der Idschāza (islamisch) usw. in ihren Personalakten vom Staat nicht im RU eingesetzt werden. Der Maßstab dafür ist willkürlich: Bis heute sind Abweichungen in der Lehre oder fehlende Kirchenmitgliedschaft Gründe für die Nicht-Zulassung auch ausgebildeten Personals. Zum Beispiel in NRW ist die Praxis verbreitet, dass kirchliches Personal (Pfarrer, Katecheten, u.a.) angesichts eines Mangels an Lehrkräften den RU durchführen. Bei der Idschāza gibt es im Zusammenhang mit den beteiligten Islamverbänden gravierende Eingriffe in die Privatsphäre von Lehrkräften.
Als weitere Probleme werden dargestellt: »Schulorganisatorischer Aufwand«, »Fehlentwicklungen bei multikonfessionellen Modellen«, »Entkirchlichung führt zu regional implodierter Nachfrage«, »Konfessioneller Religionsunterricht als Pflichtangebot, nicht als Pflichtfach«, »Versetzungsrelevante Benotung des Religionsunterrichts« und »Fiskalischer Aufwand«.
Transparenz schaffen mit Fragekatalog für die Landesregierungen und ‑parlamente
Die Finanztransparenz in den Landesregierungen – und möglicherweise auch die interne Datenerhebung – sei bisher nur unzureichend ausgeprägt, wie in Konfessionsfrei Kompakt kritisiert wird. Auch die Oppositionsfraktionen in den Landtagen hätten diesen Bereich bislang kaum durch parlamentarische Anfragen beleuchtet. Um Fortschritte bei der Herstellung von Transparenz über den fiskalischen Aufwand zu erzielen, ist auf den Seiten 8–9 ein »Fragekatalog für die Landesregierungen und ‑parlamente« formuliert.
➡️ Die Ausgabe Bekenntnisfreie Schule im bekenntnisfreien Staat. Gemeinsam „Ethik“ statt getrennt „Religion“ entstand im Rahmen des Projektes Artikel 140 und kann auf der Website des Zentralrates der Konfessionsfreien in der Rubrik Konfessionsfrei Kompakt kostenlos heruntergeladen werden. (PDF)
