Bekennt­nis­haf­ter Islam­un­ter­richt: Päd­ago­gisch und inte­gra­ti­ons­po­li­tisch »fatal«

In der Ausgabe »Bekenntnisfreie Schule im bekenntnisfreien Staat. Gemeinsam ‚Ethik‘ statt getrennt ‚Religion’« (Konfessionsfrei Kompakt Nr. 4) werden zentrale Probleme des konfessionsgebundenen Islamunterichts benannt – mit einer klaren Handungsempfehlung an die Bundesländer.

Ein­gangs steht die fol­gen­de Hand­lungs­emp­feh­lung an die Bun­des­län­der:

Was tun?

Der kon­fes­sio­nel­le Reli­gi­ons­un­ter­richt (RU) gemäß Arti­kel 7 Grund­ge­setz befin­det sich in einer tie­fen Struk­tur­kri­se und steht in man­chen Regio­nen Deutsch­lands fak­tisch vor dem Aus. Sin­ken­de Zah­len kon­fes­sio­nell gebun­de­ner Schü­le­rin­nen und Schü­ler, sys­te­mi­sche Pro­ble­me des Islam­un­ter­richts und impro­vi­sier­te – teils ver­fas­sungs­wid­ri­ge – Schein­lö­sun­gen erfor­dern ein Umden­ken. Ein zukunfts­taug­li­ches Modell muss die Reli­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­frei­heit wah­ren, Schu­len als neu­tra­le, bekennt­nis­freie Orte in der reli­gi­ös-welt­an­schau­lich plu­ra­len Gesell­schaft stär­ken und unnö­ti­ge Belas­tun­gen der öffent­li­chen Haus­hal­te ver­mei­den. Da Schul­po­li­tik Län­der­sa­che ist, rich­tet sich der fol­gen­de Vor­schlag an die Bun­des­län­der:

  • Ände­rung der Län­der-Schul­ge­set­ze und der Ver­wal­tungs­be­stim­mun­gen mit dem Ziel: Öffent­li­che, staat­lich getra­ge­ne Schu­len gel­ten gemäß Arti­kel 7 Absatz 3 Grund­ge­setz als bekennt­nis­frei und müs­sen kei­nen kon­fes­sio­nel­len RU anbie­ten.

Aus­ge­wähl­te Aus­sa­gen zum kon­fes­si­ons­ge­bun­de­nen Islam­un­tericht

Im Kapi­tel »Zehn Pro­ble­me des kon­fes­sio­nel­len Reli­gi­ons­un­ter­richts« wird nach der Kri­tik am deut­schen Son­der­weg als wich­ti­ges Pro­blem­feld genannt:

Päd­ago­gisch und inte­gra­ti­ons­po­li­tisch »fatal«

In dem Spie­gel-Best­sel­ler „Gene­ra­ti­on Allah“ beschreibt Ahmad Man­sour deut­sche Schu­len, die der reli­giö­sen Radi­ka­li­sie­rung unter Jugend­li­chen oft hilf­los gegen­über­ste­hen. Er nennt ver­schie­de­ne Grün­de hier­für, doch gera­de den kon­fes­sio­nel­len RU hält er für „fatal“:

„War­um teilt man die Kin­der auf, so dass Katho­li­ken in Klas­se A, Pro­tes­tan­ten in Klas­se B, Mus­li­me in Klas­se C gehen? Was für ein Bild bekom­men die Grup­pen von­ein­an­der? Eben: Die ande­ren sind anders!” (Man­sour: Gene­ra­ti­on Allah, S. 225).

Die­se reli­giö­se Tren­nung ist nicht mehr zeit­ge­mäß. So wie es kei­nen „SPD-“, „CDU-“ oder „AfD-Poli­tik­un­ter­richt“ geben darf, in dem „beken­nen­de“ Par­tei­mit­glie­der ihre Über­zeu­gun­gen an die Kin­der von SPD‑, CDU- oder AfD-Wäh­lern ver­mit­teln, soll­te auch Reli­gi­on unpar­tei­isch und neu­tral ver­mit­telt wer­den – zumal „Reli“ voll­stän­dig aus Steu­er­gel­dern finan­ziert wird. Auch der Hin­weis, dass kein Mensch gläu­big zur Welt kommt, ver­deut­licht das Pro­blem: Es gibt kei­ne reli­giö­sen Kin­der, nur Kin­der reli­giö­ser Eltern. Denn die Zuge­hö­rig­keit zu einer bestimm­ten Reli­gi­on ent­steht erst durch Erzie­hung und durch Sozia­li­sa­ti­on, bei der der RU eine Schlüs­sel­rol­le spielt. Kon­fes­sio­nel­ler RU dient nicht pri­mär der Ver­mitt­lung von Wis­sen, son­dern der Ver­mitt­lung eines bestimm­ten Glau­bens – und damit der reli­giö­sen Beein­flus­sung von Kin­dern.

Anders als die Auf­tei­lung von Kin­dern nach dem Glau­ben ihrer Eltern för­dert das gemein­sa­me Ler­nen die selbst­be­stimm­te Ent­wick­lung der Schul­kin­der, wirkt gesell­schaft­li­cher Spal­tung ent­ge­gen und schafft Grund­la­gen für ein fried­li­ches Mit­ein­an­der.

Daher wird in der bil­dungs- und erzie­hungs­po­li­ti­schen Debat­te dafür plä­diert, Schü­ler zu The­men der Reli­gi­on, zu Sinn- und Wert­fra­gen nicht reli­gi­ös getrennt, son­dern gemein­sam zu unter­rich­ten. Die­se Posi­ti­on deckt sich mit der Mei­nung der Bevöl­ke­rung: Laut einer GfK-Umfra­ge von 2022 befür­wor­ten 72 Pro­zent der Deut­schen einen „Ethik­un­ter­richt für alle“. Unter Kon­fes­si­ons­frei­en ist die Zustim­mung mit 86 Pro­zent beson­ders hoch, doch auch in allen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten sind Mehr­hei­ten dafür: 57 Pro­zent der Katho­li­ken, 67 Pro­zent der Evan­ge­li­schen, 60 Pro­zent der Mus­li­me.

Ein wei­te­res Pro­blem lau­tet:

Neu­tra­li­täts­ver­stoß und »lan­des­herr­li­ches Kir­chen­re­gi­ment«

Laut dem Theo­lo­gen und Ethik­pro­fes­sor Hart­mut Kreß (Uni­ver­si­tät Bonn) kommt der deut­sche Staat sei­ner Auf­sichts­pflicht über den kon­fes­sio­nel­len RU als Bestand­teil des öffent­li­chen Schul­we­sens ange­sichts der Auf­split­te­rung des Faches nur unzu­rei­chend nach und über­schrei­tet zugleich sei­ne Kom­pe­ten­zen. Kreß zeigt das Pro­blem unter ande­rem beim bekennt­nis­ge­bun­de­nen Islam­un­ter­richt auf. Die staat­li­che Kon­struk­ti­on von Bei­rä­ten und staat­lich gegrün­de­ten Stif­tun­gen, wie sie in Baden-Würt­tem­berg mit der Stif­tung Sun­ni­ti­scher Schul­rat zur Orga­ni­sa­ti­on des Reli­gi­ons­un­ter­richts sun­ni­ti­scher Prä­gung als ordent­li­ches Lehr­fach an öffent­li­chen Schu­len vor­ge­nom­men wird, ver­sto­ße gegen die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Neu­tra­li­tät. Der Staat wol­le sich zum Zweck eines bekennt­nis­ge­bun­de­nen Islam­un­ter­richts isla­misch-reli­giö­se Ansprech­part­ner schaf­fen, die er in der Logik christ­li­cher Kir­chen­struk­tu­ren kon­stru­ie­re, obwohl der Islam his­to­risch wie auch theo­lo­gisch ganz anders ver­fasst sei. Dar­über hin­aus reprä­sen­tie­ren die vom Staat betei­lig­ten Islam­ver­bän­de kei­nes­wegs die gesam­te mus­li­mi­sche Gemein­schaft. Kreß bemän­gelt, dass der deut­sche Staat mit sol­chen Kon­struk­tio­nen „im Über­maß“ in den mus­li­misch-reli­giö­sen Bin­nen­be­reich hin­ein­wir­ke und die kol­lek­ti­ve Reli­gi­ons­frei­heit von Mus­li­men ver­let­ze. Es han­de­le sich rechts­ge­schicht­lich um einen Rück­fall sogar hin­ter die Prin­zi­pi­en der Wei­ma­rer Ver­fas­sung von 1919 – hier wer­de ein „lan­des­herr­li­ches Kir­chen­re­gi­ment revi­si­ted“ im 21. Jahr­hun­dert prak­ti­ziert. Kreß: „Para­do­xer­wei­se wird jetzt – ca. hun­dert Jah­re spä­ter – in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land das Para­dig­ma des lan­des­herr­li­chen Kir­chen­re­gi­ments reak­ti­viert, indem der Staat es auf den mus­li­mi­schen Bevöl­ke­rungs­an­teil anwen­det. Es han­delt sich um ‚eine his­to­risch erklär­ba­re deut­sche Nai­vi­tät‘. Meh­re­re Lan­des­re­gie­run­gen sind reli­gi­ös tätig gewor­den, haben ‚über‘ die mus­li­mi­sche Bevöl­ke­rung ent­schie­den und ‚für‘ sie einen bekennt­nis­haf­ten RU geschaf­fen.“ Das alles sei nicht trag­bar, denn es sei­en ver­fas­sungs­kon­for­me Lösun­gen ver­füg­bar und kon­kret rea­li­sier­bar, z. B. ein Islam­kun­de­un­ter­richt oder die Ein­füh­rung eines obli­ga­to­ri­schen neu­tra­len Ethik-/Re­li­gi­ons­kun­de­un­ter­richts für alle oder letzt­lich die Errich­tung bekennt­nis­frei­er Schu­len (Kreß: Reli­gi­ons­un­ter­richt oder Ethik­un­ter­richt?, S. 170–173).

Her­vor­zu­he­ben ist auch das fol­gen­de Pro­blem von Über­grif­fig­kei­ten der Islam­ver­bän­de auf die Pri­vat­sphä­re von Lehr­kräf­ten:

Das unter­rich­ten­de Per­so­nal

Die am RU betei­lig­ten Reli­gi­ons­ge­sell­schaf­ten haben das Recht, den Lehr­kräf­ten eine Lehr­erlaub­nis zu ver­wei­gern – selbst wenn die­se Lehr­kräf­te ein ein­schlä­gig stu­dier­tes und exami­nier­tes Unter­richts­fach vor­wei­sen kön­nen. Oder anders: Pädagog:innen mit ers­tem und zwei­tem Staats­examen dür­fen ohne das Doku­ment der Voca­tio (evan­ge­lisch), der Mis­sio Cano­ni­ca (katho­lisch), der Idschā­za (isla­misch) usw. in ihren Per­so­nal­ak­ten vom Staat nicht im RU ein­ge­setzt wer­den. Der Maß­stab dafür ist will­kür­lich: Bis heu­te sind Abwei­chun­gen in der Leh­re oder feh­len­de Kir­chen­mit­glied­schaft Grün­de für die Nicht-Zulas­sung auch aus­ge­bil­de­ten Per­so­nals. Zum Bei­spiel in NRW ist die Pra­xis ver­brei­tet, dass kirch­li­ches Per­so­nal (Pfar­rer, Kate­che­ten, u.a.) ange­sichts eines Man­gels an Lehr­kräf­ten den RU durch­füh­ren. Bei der Idschā­za gibt es im Zusam­men­hang mit den betei­lig­ten Islam­ver­bän­den gra­vie­ren­de Ein­grif­fe in die Pri­vat­sphä­re von Lehr­kräf­ten.

Als wei­te­re Pro­ble­me wer­den dar­ge­stellt: »Schul­or­ga­ni­sa­to­ri­scher Auf­wand«, »Fehl­ent­wick­lun­gen bei mul­ti­kon­fes­sio­nel­len Model­len«, »Ent­kirch­li­chung führt zu regio­nal implo­dier­ter Nach­fra­ge«, »Kon­fes­sio­nel­ler Reli­gi­ons­un­ter­richt als Pflicht­an­ge­bot, nicht als Pflicht­fach«, »Ver­set­zungs­re­le­van­te Beno­tung des Reli­gi­ons­un­ter­richts« und »Fis­ka­li­scher Auf­wand«.

Trans­pa­renz schaf­fen mit Fra­ge­ka­ta­log für die Lan­des­re­gie­run­gen und ‑par­la­men­te

Die Finanz­trans­pa­renz in den Lan­des­re­gie­run­gen – und mög­li­cher­wei­se auch die inter­ne Daten­er­he­bung – sei bis­her nur unzu­rei­chend aus­ge­prägt, wie in Kon­fes­si­ons­frei Kom­pakt kri­ti­siert wird. Auch die Oppo­si­ti­ons­frak­tio­nen in den Land­ta­gen hät­ten die­sen Bereich bis­lang kaum durch par­la­men­ta­ri­sche Anfra­gen beleuch­tet. Um Fort­schrit­te bei der Her­stel­lung von Trans­pa­renz über den fis­ka­li­schen Auf­wand zu erzie­len, ist auf den Sei­ten 8–9 ein »Fra­ge­ka­ta­log für die Lan­des­re­gie­run­gen und ‑par­la­men­te« for­mu­liert.

➡️ Die Aus­ga­be Bekennt­nis­freie Schu­le im bekennt­nis­frei­en Staat. Gemein­sam „Ethik“ statt getrennt „Reli­gi­on“ ent­stand im Rah­men des Pro­jek­tes Arti­kel 140 und kann auf der Web­site des Zen­tral­ra­tes der Kon­fes­si­ons­frei­en in der Rubrik Kon­fes­si­ons­frei Kom­pakt kos­ten­los her­un­ter­ge­la­den wer­den. (PDF)